Page 9 - Demo
P. 9
7Konzept, es braucht nicht zuletzt physische Energie. Und es braucht den unbedingten Willen, etwas zu schaffen, das unbestreitbar %u00e4sthetische Qualit%u00e4ten hat. Durch die Stra%u00dfen von Berlin, Volendam, New York, Wien oder Rio de Janeiro sind viele spaziert. Aber ohne den ordnenden Blick, die selektive Wahrnehmung eines Willy Ronis, eines Louis Stettner, einer Berenice Abbott, eines Franz Hubmann oder Ren%u00e9 Burri keine bildhafte Ikone, die uns im Zweifel %u00fcberrascht, fasziniert, ber%u00fchrt oder staunen macht. Fotografien bringen uns Prominente n%u00e4her: Gr%u00f6%u00dfen des Films wie James Dean oder Romy Schneider, Jahrhundertfotografen wie Albert Renger-Patzsch oder Robert Frank, Diven wie Maria Callas oder epochale K%u00fcnstler von Georges Braque bis Joseph Beuys. Fotografien erschlie%u00dfen uns fremde Welten bis hin zum Mond. Sie stellen Fragen rund um unsere irdische Existenz (Nan Goldin), wecken erotische Phantasien (Wilhelm von Gloeden) oder stimulieren wie bei O. Winston Link nostalgische Gef%u00fchle. Was die zitierten Motive verbindet: Sie sind %u00fcber das Dargestellte hinaus immer auch Objekte. Objekte mit einer Oberfl%u00e4che, einer R%u00fcckseite, einer Grammatur. Objekte, die man in die Hand nehmen, wenden, in Nahsicht studieren kann. Objekte auch mit einer individuellen %u00dcberlieferung, einer Geschichte. Inzwischen gr%u00fc%u00dfen sie her%u00fcber aus analogen Tagen, als sich noch Licht und Optik und Chemie verb%u00fcndeten, um Fenster zur Welt in all ihren Facetten aufzusto%u00dfen. Und es sind tats%u00e4chlich Werke einer Kunst mit fotografischen Mitteln, in die man sich verlieben und die man f%u00fcr vergleichsweise wenig Geld erwerben kann, um sich zu Hause und immer wieder neu einem gro%u00dfen Staunen auszusetzen.%u201eDer Autor lebt als freier Schriftsteller, Fotohistoriker und Kurator in M%u00fcnchen.%u201cWas sie nicht alles kann, die Fotografie: Informieren, illustrieren, dokumentieren. Sie kann W%u00e4nde schm%u00fccken, Erinnerung stiften, Augen %u00f6ffnen. Sie kann verbl%u00fcffen, Neugier wecken, irritieren. Propaganda kann sie auch %u2013 und Kunst, nat%u00fcrlich. Wobei von Anfang an gestritten wurde, ob Fotografie, dieses Findelkind der technischen Moderne, nun Kunst sei oder nicht. Eine falsch gestellte Frage. Fotografie ist nicht Malerei, nicht Grafik, nicht Skulptur. Fotografie ist ein technisches Medium von %u201eeigenen%u201c Qualit%u00e4ten, worauf bereits 1927 Albert Renger-Patzsch hingewiesen hatte: %u201e%u00dcberlassen wir daher die Kunst den K%u00fcnstlern%u201c, so der f%u00fchrende Vertreter der Neuen Sachlichkeit, %u201eund versuchen wir mit den Mitteln der Fotografie Fotografien zu schaffen, die durch ihre %u201efotografischen%u201c Qualit%u00e4ten bestehen k%u00f6nnen, %u2013 ohne dass wir von der Kunst borgen.%u201c Was die Fotografie grundlegend von den %u201eh%u00e4ndischen%u201c K%u00fcnsten unterscheidet, ist ihr Wirklichkeitsbezug, ihr %u201eindexikalischer Charakter%u201c. Ohne Marilyn Monroe vor der Fotokamera keine Marilyn Monroe im Bild. Ohne ein tats%u00e4chliches Rendezvous, ein erstes oder letztes %u201eSitting%u201c mit dieser tragischen Pers%u00f6nlichkeit der Filmgeschichte kein Portr%u00e4t. Was f%u00fcr Andr%u00e9 de Dienes ebenso gilt wie f%u00fcr Bert Stern oder Philippe Halsman. Damit gewinnt die Fotografie eine literarische Qualit%u00e4t: Man kann sich in bestimmte Bilder hineindenken, hineinf%u00fchlen, hineintr%u00e4umen, kann Phantasie entfalten angesichts der unbestreitbaren Tatsache des %u201eEs-ist-so-gewesen%u201c, wie Roland Barthes dieses Ph%u00e4nomen beschrieb. Anders gesagt: Was man sieht, hat so oder wenigstens so %u00e4hnlich einmal stattgefunden %u2013gestern, neulich, vor Jahrzehnten. Und ja: Die Fotografie ist ein technisches Bildmittel, dabei alles andere als %u201eselbstt%u00e4tig%u201c, wie gelegentlich behauptet wird. Die Kamera im Regal macht noch kein Bild. Es braucht den Fotografen, die Fotografin. Es braucht ein Auge, eine Vision, ein Von Hans-Michael KoetzleO B J E K T E , I N D I E M A N S I C H V E R L I E B E N KANN